0. Einleitung

Die vorliegende Arbeit trägt den Titel "Modelle in der Konfliktforschung". Die Friedens- und Konfliktforschung ist eine relativ junge Wissenschaft, deren Aufgabenstellung durch den Namen hinreichend charakterisiert wird. Sie beschäftigt sich mit Ursachen, Hintergründen, Begleiterscheinungen und Auswirkungen menschlicher Konflikte, vor allen den Kriegen.

Das Wort "Modell" ist vieldeutig. Ganz allgemein ist ein Modell ein Abbild der Wirklichkeit. Es gibt reale Modelle, zum Beispiel die Miniaturnachbildung eines Gebäudes, und es gibt rein fomale Modelle, wie sie hier als Gleichungen vorliegen. In der Mathematik unterscheiden wir zwischen statischen und dynamischen Modellen und weiters dann zwischen kontinuierlichen und diskreten. Dynamische Modelle verwenden die Zeit als unabhängige Veränderliche und diskrete Modelle werden durch Differenzengleichungen dargestellt, kontinuierliche als Differentialgleichungen. Mit eben diesen beschäftigt sich diese Arbeit.


0.1 Differentialgleichungen

In fünf verschiedenen Kapiteln werden verschiedene Differentialgleichungssysteme vorgestellt, beschrieben, untersucht und simuliert. Ihnen allen ist gemeinsam, daß die unabhängige Veränderliche die Zeit t ist, wir betrachten also das Verhalten eines Systems in der Zeit.

Die Modelle sind von verschiedenen Autoren und unterschiedlich alt. Richardson war wahrscheinlich der erste, der eine Differentialgleichung zur Beschreibung der Rüstung eines Staates anwandte. Nach ihm kamen viele, die seine Ideen ausbauten und veränderten, aber auch er selbst variierte seine Gleichungen auf mehrere Weise. Ein relativ neues Modell ist das von Intriligator und Brito, das mit linearen Differentialgleichungen den Verlauf eines atomaren Krieges beschreibt. Dieses Modell diente ihnen als Grundlage für weitere Überlegungen über den Verlauf der Rüstung. Sie mußten es sich ebenfalls gefallen lassen, daß ihr Modell Änderungen unterschiedlicher Art unterworfen wurde.

Die Modelle der ersten drei Kapitel sind lineare Differentialgleichungen, die der beiden letzten sind nichtlinear. Eine Differentialgleichung ist relativ leicht zu deuten.

Auf der linken Seite steht die erste Ableitung einer abhängigen Veränderlichen, die als Rate der Veränderung des Rüstungsstandes gedeutet werden kann. Auf der rechten Seite steht ein linearer oder nichtlinearer Ausdruck, der von allen Veränderlichen abhängen kann. Je nach Einwirkungen der anderen Veränderlichen auf die Ableitung haben sie positive oder negative Koeffizienten oder Exponenten. Im linearen Fall lassen sich diese Einwirkungen graphisch mit Hilfe von sogenannten Kausalschleifen darstellen. Die Konstanten der rechten Seite können in jedem Modell auf bestimmte Weise gedeutet werden, zum Beispiel als Maß für die Bedrohung.

Die Theorie der Differentialgleichungen bietet Hilfen zur weiteren Untersuchung. Von großem Interesse sind die Gleichgewichtslagen eines Differentialgleichungssystems. Das sind jene Werte der Veränderlichen, bei denen deren Ableitungen 0 sind, wo also keine Änderungen mehr stattfinden. So eine Gleichgewichtslage kann stabil, assymptotisch stabil oder instabil sein. Bei linearen Differentialgleichungen läßt sich diese Eigenschaft einfach mit Hilfe der Eigenwerte der Matrix des Systems nachprüfen. Natürlich ist es äußerst befriedigend, schließlich auch die Lösungen der Gleichungen in expliziter Form anschreiben zu können.

Die Simulation eines Modells ist besonders interessant, wenn die Ergebnisse in graphischer Form vorliegen. Mit Hilfe der Simulationssprache HYBSYS wird zunächst ein Modell erstellt, und dann damit experimentiert. Wir erhalten Kurven, und zwar entweder die Darstellung der Lösungskurven, also der abhängigen Veränderlichen auf der y-Achse und der unabhängigen Veränderlichen, der Zeit t, auf der x-Achse; oder Trajektorien, also der Zusammenhang zweier abhängiger Veränderlicher. So können wir das Verhalten des Systems über einem gewissen Zeitintervall betrachten oder die gegenseitigen Einflüsse der Variablen untersuchen. Dabei ist wieder der Gleichgewichtspunkt besonders interessant.

Mit Hilfe der HYBSYS-Simulation können wir das Verhalten des Systems theoretisch untersuchen und mit der Realität vergleichen. Dadurch können wir geeignete Parameterwerte finden, die bewirken, daß sich das Modell möglichst realistisch verhält. Die graphischen Ergebnisse sind beeindruckend und lassen sich einfacher interpretieren als die Differentialgleichungen selbst. Sie veranschaulichen, was der Autor der Gleichungen damit sagen wollte und bringen uns beispielshaft und verständlich abstrakte Zusammenhänge näher.


0.2 Kausalschleifen

Mit Hilfe einfacher Pfeildiagramme lassen sich allgemein Zusammenhänge sehr schön verdeutlichen. Ein Pfeil von einer Größe zu einer anderen bedeutet, daß die erste Größe die zweite beeinflußt. Der Einfluß ist positiv, wenn der Pfeil mit einem "+" oder gar nicht bezeichnet ist: wenn die erste Wert steigt, steigt auch der zweite. Umgekehrt wird ein negativer Einfluß mit einem "-" gekennzeichnet: das Ansteigen der ersten Größe hat ein Abfallen der zweiten Größe zur Folge.

Interessant sind Kausalschleifen, das sind geschlossene Pfeildiagramme. Wenn die Anzahl der "-" in der Kausalschleife ungerade ist, handelt es sich um eine negative Rückkopplung, um ein negatives Feedback. Es hat meist erwünschte Wirkungen, ist ein selbstregulierender Kreislauf und weist einen stationären Punkt auf. Mathematisch bedeutet das oft eine Exponentialfunktion mit negativem Exponenten. Die positive Rückkopplung dagegen ist meist unerwünscht. Sie bedeutet unter Umständen unbegrenztes Wachstum, und wenn ein stationärer Punkt vorhanden ist, so kann er instabil sein. Sie wirkt oft wie ein "Schneeballeffekt", und kann sich so verhalten wie eine Exponentialfunktion mit positivem Exponenten.

Die Abbildung 0.1 und Abbildung 0.2 sind zwei Beispiele für Kausalschleifen. Die erste ist die Beschreibung des Zusammenhanges zwischen der Bevölkerungszahl und den Todesfällen: Je mehr Menschen es gibt, desto mehr sterben. Je mehr sterben, desto weniger gibt es. Das ist ein negatives Feedback. Die zweite Abbildung stellt den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Geburten pro Jahr und der Bevölkerungsanzahl dar: Je mehr Menschen leben, desto mehr Kinder werden geboren, und je mehr Kinder geboren werden, desto mehr Menschen gibt es. Das ist ein positives Feedback, was bedeutet, daß die Zahl der Menschen immer weiter zunehmen kann, und tatsächlich ist es fast überall auf der Welt so.



Abbildung 0.1 Negatives Feedback



Abbildung 0.2 Positives Feedback


Die Beschreibung der linearen Modelle kann einfach mit Kausalschleifen erfolgen. Die Zusammenhänge der Größen werden durch Pfeile dargestellt, und die Vorzeichen werden markiert. Ohne die Differentialgleichungen kennen oder untersuchen zu müssen, können wir einige Aussagen über das System treffen und ein HYBSYS-Modell schreiben. Diese graphische Beschreibung ermöglicht einen einfachen Zugang für jene, die mit der Theorie der Differentialgleichungen nicht vertraut sind.




Kurzfassung und Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Modell von Richardson
2. Das Modell von Intriligator und Brito
3. Lineare Erweiterungen des Richardson-Modells
4. Nichtlineare Erweiterungen des Richardsonmodells
5. Nichtlineare Erweiterung des Intriligator-Brito-Modells
Literaturverzeichnis


©1990 Elisabeth Müller